Die Maske des Erfolgs: Zwischen Selbstvermarktung und Preisdruck
Dieser Artikel erschien erstmals im digitalen Magazin von Expedition Mallorca.
Strategien für mentale sowie körperliche Balance in einer schnelllebigen Welt lernen:
Zum Beispiel Mallorca als Kraftort nutzen.
Ein Mann sitzt in einem Café in Palma, den Laptop vor sich, die Welt steht ihm offen, aber seine Gedanken kreisen. Eine Frau in Berlin verlässt ihr letztes Meeting für heute, während die Frage in ihr aufsteigt, wie lange sie das noch machen möchte. Zwei Leben, zwei verschiedene Orte – doch eine Frage verbindet sie:
Lebe ich wirklich in Selbstbestimmung?
Freiheit oder Illusion? Die Zerrissenheit der Selbstständigkeit
Harriet Rubin, Autorin des Buches Soloing, schrieb: „Freiheit bedeutet, nach der eigenen, tiefen, inneren Führung zu handeln.“ Doch wie fühlt sich diese Freiheit an, wenn sie gepaart ist mit Unsicherheit, mit der Frage, ob man morgen noch genug Kunden hat? „Machen Sie sich selbstständig, dann sind Sie Ihr eigener Chef!“– so lautet das Versprechen, das viele lockt. Keine Vorgesetzten, keine starren Arbeitszeiten, keine ständigen Kompromisse. Doch kaum ist das Unternehmensschild aufgestellt, der Laptop aufgeklappt, beginnt eine andere Realität:
Niemand erwartet Sie. Keine Kunden, keine Aufträge, keine feste Struktur. Sie sind Ihre eigene Marke. Zeigen Sie Schwäche, verlieren Sie. Zeigen Sie Stärke, erfordert das einen Kunden, der den gleichen hohen Anspruch teilt – und bereit ist, dafür zu bezahlen. Wie ehrlich dürfen Sie sein? Sprechen Sie über Ihre Unsicherheiten, zweifelt der Kunde an Ihnen. Präsentieren Sie sich als unfehlbar, laufen Sie Gefahr, sich selbst zu verlieren.
Harriet Rubin erkannte genau dieses Dilemma. Selbstständigkeit ist eine Kunst sowie ein Spiel mit Erwartungen. Der Solopreneur bewegt sich auf einer feinen Linie zwischen Verkaufbarkeit und Authentizität, zwischen Professionalität und der menschlichen Erfahrung von Unsicherheit. Selbstständigkeit bedeutet, sich selbst überzeugend darzustellen, ohne zu übertreiben – aber auch ohne sich unter Wert zu verkaufen. Hier liegt das Paradox: Einerseits müssen Sie Ihre eigene Geschichte klar kommunizieren und sich als Lösung für das Problem des Kunden positionieren. Andererseits will der Kunde oft den günstigsten Preis – mit maximalen Erwartungen. Ein Webdesigner kennt das nur zu gut.
Der Kunde glaubt, er könne abschätzen, wie viel eine Website „eigentlich“ kosten sollte. Er möchte das Beste – zum niedrigsten Preis. Er sucht nach Qualität, erkennt aber nicht immer, welche Leistung tatsächlich dahintersteht. Hier beginnt die emotionale Gratwanderung für den Selbstständigen: Ehrliche Kommunikation oder gefälliges Nachgeben? Unbequeme Aufklärung oder das Risiko, den Auftrag zu verlieren? „Können Sie das nicht einfach schnell anpassen?“ „Warum kostet eine Webseite so viel? Ein Baukasten wäre günstiger.“ „Das sollte doch nicht so kompliziert sein, oder?“ Wie reagieren? Als Selbstständige müssen Sie lernen, Wertschätzung nicht zu erwarten, sondern durch klare Kommunikation einzufordern.
Nicht in die Rechtfertigungsfalle geraten. Gute Arbeit erklärt sich nicht durch defensive Argumente, sondern durch Selbstbewusstsein in der eigenen Leistung. Verhandlungsstärke beweisen. Wer Kunden gewöhnt, für wenig Geld viel zu bekommen, schwächt langfristig sein Business.Emotionale Intelligenz nutzen. Nicht jeder Pitch wird gewonnen, nicht jeder Kunde passt. Ablehnung ist kein persönliches Versagen. Selbstständigkeit bedeutet Resilienz. Sie bedeutet, seine Arbeit, seine Preise und sich selbst zu respektieren – selbst wenn andere das nicht tun.
Selbstständigkeit als moderne Jagd – Wer nicht jagt, hat nichts auf dem Teller
Angestellte wissen jeden Monat genau, was sie verdienen. Für Selbstständige sieht das anders aus. Deren Einkommen ist kein Fixbetrag – sondern bedeutet eine Jagd. Es gibt Monate des Überflusses – und Monate der Dürre. Es gibt Kunden, die begeistert sind und welche, die den Wert der Arbeit nicht verstehen. Es gibt Pitches, die gewonnen werden – und solche, die verloren gehen. Selbstständige müssen sich ihr Einkommen erkämpfen. Sie müssen sich permanent neu beweisen, neue Kunden akquirieren, ihr Geschäft strategisch weiterentwickeln. Aber genau hier liegt die wahre Selbstbestimmung. Wer selbstständig ist, entscheidet selbst über seine Preise. Wer selbstständig ist, entscheidet selbst, mit wem er arbeiten möchte. Wer selbstständig ist, entscheidet selbst, ob er sich als Opfer der Umstände oder als Gestalter seines Lebens sieht. Wie viel ärmer wäre die Wirtschaft ohne diese Einzelkämpfer? Angestellte führen Unternehmen. Selbstständige erschaffen sie.